Rezensionen

Eine Welle, eine Sturmfront, eine Lichterkette, ein verwehtes Kornfeld, eine Treppe, ein Globus, ein Tannenbaum – jeder sieht etwas anderes Konkretes in den abstrakten Formen der Wellenmosaike von Mathias Renner.
In der gerade zu Ende gegangenen Ausstellung „Rhythmus und Raster – Spiel der Perspektiven“ im Seitengebäude der Stadtsparkasse Düsseldorf auf der Steinstraße sind anders als im Neusser Schloss Reuschenberg Anfang letzten Jahres weniger Großformate zu sehen, sondern Kunstwerke in kleineren Dimensionen – und nicht nur als einmalige Originale, sondern auch als Teile kleiner und erschwinglicher Editionen. 
Die Werke haben Nummern, keine Namen – die kann man als Betrachter, je nachdem, was man darin sieht, selbst erfinden (siehe oben). Die sich in scheinbar gleichmäßigem Muster wiederholenden kleinen Farbquadrate erinnern zunächst an eine dekorative Badkeramik. In gewisser Weise ist Mathias Renner also auch eine Art Fliesenleger – allerdings ein hochbegabter, akkurater, besonders origineller und kunstvoller.
So elegant und hochkarätig die visuellen Kunstwerke an den Wänden wirken, würde man nie darauf kommen, was deren Hauptmaterial ist: schlichte Wellpappe! Dass sie dann doch nicht ganz so schlicht, sondern gezielt verändert, eingefärbt und fein geschnitten, verarbeitet und in teilweise mehreren Hundert Einzelflächen kombiniert wird, ist einem Mann zu verdanken, der das Gestalten und künstlerische Bearbeiten nicht nur an der Hochschule gelernt, sondern auch in der Werbeagentur zu seinem Beruf gemacht hat. 
Wer Mathias kennt und ihn über viele Jahrzehnte in den Atelierräumen von Grey erlebt hat, wie er aus locker hingeworfenen Vorlagen hochpräzise Modelle und Packungen gebaut hat, kennt seinen Anspruch an die Qualität seiner Arbeit. Da werden ganze Skizzenbücher gefüllt, die wie schachbrettartige Gebäude-Fundamente wirken. Da werden Farbrollen sorgsam trockengerollt, um die zu kolorierenden Wellenhöhen der saugfähigen Pappe nicht vollends zu durchtränken. Und da werden für die gewünschten visuellen Effekte der meist daumengroßen Papp-Quadrate Kippwinkel im Zehntelgrad-Bereich errechnet, damit die Schnitt- und Falzkanten eben nicht nur „so ungefähr“ zueinander passen, sondern „genau so“.
Eine blaue Fläche erinnert an Yves Klein, in Schwingung versetzte Muster an Günther Uecker, große spiegelnde strukturierte Quader an Heinz Mack; die berühmten Künstler der Gruppe Zero scheinen Mathias Renners Arbeiten allgegenwärtig inspiriert und begleitet zu haben.
Nicht bloß Quadrate verwendet Mathias, sondern in letzter Zeit auch Recht- und sogar Dreiecke in verschiedenen Größen. Aber nicht die Form der Materie macht den alleinigen Reiz aus, sondern vor allem das mit der Oberflächenstruktur korrespondierende Licht- und Schattenspiel. In einigen seiner dreidimensionalen Arrangements ist die optische Wirkung des variierenden Lichteinfalls verblüffend, denn die ganze Komposition verändert sich dadurch. Das vertraute Bild an der Wand wird über den Tag mit wanderndem Sonnenstand ein anderes. Abwechselung garantiert.
Stichwort Trompe-l’oeil-Effekt. Manchmal ertappt man sich, im Vorübergehen darauf zu starren wie auf eine Seite der vor etwa zwanzig Jahren so beliebten 3D-Bilderbücher. Vielleicht hat Mathias ja doch noch einen unsichtbaren Wal oder einen Hund in den symmetrischen Rillen der Wellpappe versteckt. Zuzutrauen wäre es ihm.

Harald Breidenbach, Juli 2025


Nach dem Besuch einer Ausstellung der Wellenmosaike von Mathias Renner, möchte ich einmal beschreiben, welchen Eindruck die Bilder bei mir als Betrachter hinterlassen haben.
Ich finde, Mathias Renner schafft mit seinen Bildern eine wunderbare Verwandlung.
Er arbeitet mit einem sehr gewöhnlichen, zweckgebundenen, billigen und in Massen vorhandenen Material, dessen Alltagsanwendung eng definiert und umrissen ist: Wellpappe, die niemanden interessiert, außer in Bezug auf ihre Funktion, nämlich andere und wertvollere Dinge zu schützen bzw. in Szene zu setzen. Ein Material, das Stöße aushalten muss, das Schläge abbekommt, das in Frachträumen gestapelt wird und das auch mal kaputt gehen kann und am Ende im besten Fall im Altpapier landet. Ein Material, das sich immer unterordnet und lediglich auf Zeit eigenen Wert besitzt, das kaum ästhetische Assoziationen hervorruft, außer vielleicht in Form von Stapeln, Rollen oder gefalteten Kartons.
Aus dem einfachen Material und der monotonen Struktur der Wellpappe entsteht in seinen Bildern etwas Spirituelles und Inspirierendes. Etwas Leichtes und Flüchtiges. Und das, obwohl, oder gerade weil er in sehr geordneten Rastern, Strukturen und Prozessen arbeitest.
Als Betrachter geht man auf visuelle Entdeckungsreise, man folgt den Linien und aus der Strenge und Geradlinigkeit der Elemente wird etwas Fluides und Lebendiges. Das ist total verblüffend und für den Betrachter eine große Freude. 
Aber vielleicht kann man es auch vom anderen Ende her betrachten. Die Wellpappe ist gar nicht der Ausgangspunkt der Arbeit von Mathias Renner, sondern lediglich ein Material, das er dazu nutzt, um die Schönheit des Lichts einzufangen.
Ich wünsche ihm weiter viel Erfolg und freue mich, bald seine neuen Bilder zu sehen.

Jochen Heimann, Mai 2025